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DIEBINNEN UND ANDERE RÄUBER

No. 45 | 2023/1

«Obacht Kultur» N° 45, 2023/1 ist Diebinnen und Räubern auf der Spur.

Auftritt: Monika Rechsteiner;
Umschlag: Serafin Krieger;
Bildbogen: David Berweger;
Texte: Joachim B. Schmidt, Nicole Pfister Fetz, David Glanzmann und CHATGPT u.v.m.

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Gedächtnis

Hehlende Herisauerinnen

von Myrta Gegenschatz

Am 25. Februar 1714 verurteilte die Ausserrhoder Obrigkeit zwei Herisauerinnen wegen Diebstahls und Hehlerei – des Verkaufs von gestohlenen Waren. Das Gerichtsprotokoll gewährt einen detaillierten Einblick in den Tathergang, das Diebesgut und die Strafen.

Anfangs des Jahres 1714 gelang es dem «Meidlin» Elisabeth Weiler und ihrer Mutter Barbara Enz nicht mehr, ihre unlauteren Geschäfte zu «helen», das heisst geheimzuhalten. Sowohl ihre Diebstähle als auch der Weiterverkauf der Beute kamen ans Licht. Es ist einer von insgesamt 22 Ausserrhoder Hehlerei-Fällen aus dem 18. Jahrhundert, die im Staatsarchiv aktenkundig sind. Dabei wurden zehn Mal Frauen angeklagt. Aus dem Gerichtsprotokoll wird ersichtlich, dass Hehlerei damals sowohl den Diebstahl als auch den Handel mit den gestohlenen Waren durch dieselbe Person umfasste. In der heutigen Definition ist die hehlende Person eine andere als diejenige, die den Diebstahl begangen hat. Schon damals setzt ein rechtsgültiges Urteil jedoch ein Geständnis voraus. Im Fall der Diebin und Hehlerin Elisabeth Weiler und ihrer Mutter ist im Protokoll ein Geständnis «durch peinliche Erschrekung» festgehalten. Man kann davon ausgehen, dass das Verhör unter Androhung von Folter stattgefunden hat.

Tatorte und Diebesgut
Der Tathergang und die Art der Beute sind im Protokoll des Malefizgerichts, das in Trogen tagte, festgehalten. Dieses hatte die hohe Gerichtsbarkeit inne, konnte also über schwere Verbrechen urteilen und die Todesstrafe aussprechen: Elisabeth Weiler gab zu Protokoll, an 27 verschiedenen Orten in Herisau und in Urnäsch unterschiedliche Sachen entwendet und anschliessend zu ihrer Mutter Barbara Enz gebracht zu haben. Letztere liess einzig bei einem Bäcker, wohnhaft am Rindermarkt in St. Gallen, ein so genanntes «Pfeffer Gwicht» (vermutlich ein Stein zum Abwägen von Pfeffer) mitgehen. Beide gestanden, dass sie die Waren weiterverkauft hätten. Als Käuferin taucht meist Barbara Stricker auf. Über das berufliche und soziale Umfeld der Diebinnen sowie deren Motive schweigen die Quellen hingegen. Zu den Bestohlenen gehörten auch Oberst Meyer, der Kronenwirt Hans Ulrich Schiess, der Müller Jakob Pfändler, der Schuhmacher Johannes Schiess sowie der Papierhersteller Hans Conrad Schiess. Elisabeth Weiler war nebst auf Werkzeug und Küchenutensilien vorwiegend auf Textilien aus. Die Liste der gestohlenen Gegenstände umfasst neben Leinenlaken, Tischtüchern, Röcken und Halstüchern – darunter ein gelb-gestricheltes – auch ein «Ziechlin» (Kissenbezug). Unter dem Diebesgut befanden sich ferner «Klümeli» (Fadenknäuel), eine «Brisnestel» (Schnur zum Schnüren des Mieders), schnell gesottenes Garn oder zwei «Fazenetli» (kleines Tuch zu verschiedenem Gebrauch). Zuhauf entwendete Elisabeth Weiler Hemden, wobei ihr dies in einem Fall nicht glückte: «Ein Hemdt abem Hag genommen, seye ihr aber wider abgejagt worden.» Zu den gestohlenen Werkzeugen gehörten ein so genannter «Näper» (Bohrer) sowie zwei «Schrotteisen» (Bezeichnung für ein spatenartiges Gerät zum Schroten von Heu). Sie verkaufte auch eine Schaumkelle und Nahrungsmittel wie gesottene Rüben weiter. Mit zwei silbernen Beinringen (lederne Strumpfbänder mit Schnalle) und «zwei Rösli samt der samten Schlapen» tauchen die wenigen Wertsachen auf. Dabei handelt es sich um zwei Rosenhaarnadeln und schwarzsamtene Mädchenhauben. Getragen werden Rosenhaarnadeln und Hauben noch heute von den «Täfelimeedle» anlässlich der Innerrhoder Fronleichnamsprozession.

Körperstrafen
Im Staatsarchiv ist die Verurteilung von Diebinnen und Dieben seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in den Gerichtsprotokollen dokumentiert. Vielfach sprach das Malefizgericht bei Diebstahl die Todesstrafe aus. Ein Mandat vom 11. Mai 1713 spricht für eine Ausdifferenzierung beziehungsweise «Abschwächung» der Bestrafung dieses Tatbestandes: Kleinerer Diebstahl sollte in Zukunft mit halb- bis einstündigem «Trüllen» bestraft werden. Straffällige wurden dafür in einen hölzernen Käfig auf einem öffentlichen Platz eingesperrt und im Kreis gedreht. Das Gericht stufte die Tat von Elisabeth Weiler und Barbara Enz jedoch schwerer ein: Es sprach eine Leibesstrafe für beide aus. Dies bedeutete, dass sie auf dem Landsgemeindeplatz Rutenschläge erhalten sollten. Elisabeth Weiler wurde zusätzlich zum «Trüllen» verurteilt. Nebst einer Geldstrafe für Mutter Barbara Enz kam für beide ein Verbot von Wein- und Mostkonsum in den Gasthäusern hinter der Sitter hinzu. Sie mussten darüber hinaus auch fleissig die Kirche besuchen, wobei sie hinten und von der ehrlichen Gesellschaft ausgeschlossen zu stehen hatten. Die Bestrafung erfolgte also unter dem Blick der Öffentlichkeit und verfolgte das Ziel der sozialen Ausgrenzung.

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