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SO EIN KÄSE

No. 42 | 2022/1

«Obacht Kultur» N° 42, 2022/1 zieht Fäden.

Auftritt: Brenda Osterwalder;
Bildbogen: Steff Signer;
Umschlag: Verena Sieber-Fuchs;
Texte: Gerold Späth, Myriam Schleiss, Dominik Flammer u.v.m.

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Thema

AM ANFANG IST DIE KULTUR

von Andreas Stock

«Käsen ist eine Passion», sagt Chrigel Schläpfer. Vor über dreissig Jahren ging der leidenschaftliche Senn und Hirt das erste Mal z’Alp. Reiche Praxiserfahrung und Wissen zur Alpwirtschaft konnte er unter anderem als Autor und Mitherausgeber des Bands «Neues Handbuch Alp» einbringen. Viele Sommer verbrachte er auf Bündner Hochalpen, im Glarnerland, im Wallis und Berner Oberland. In der Stube seines Höcklis in Gais wollen wir mehr über die Rätsel der Käseentstehung erfahren. Sie haben weniger mit verheimlichter Zusammensetzung von Kräutersülzen zu tun, als vielmehr damit, wie aus der Milch überhaupt Käse wird: Mit Bakterienkulturen wird Milchzucker abgebaut und ein kontrollierter Säuerungsprozess ausgelöst. Durch Säuerung wird Milch dick und flockt aus. Vor Urzeiten liess man spontan gesäuerte Dickmilch abtropfen und kam so zu Sauerkäse. Einige tausend Jahre später wird für den gleichen Prozess auf den Einsatz von Milchsäurebakterien gesetzt. «Langeneggers aus Gais zum Beispiel machen auf ihrem Demeter-Betrieb aus der seit Jahren weitergezogenen Sauermilch-Kultur ausgezeichneten Rohmilchquark»,erzählt Chrigel Schläpfer. «Die Hälfte beim Käsen macht die Kultur», zitiert er eine Käser-Weisheit: Die Bakterienkulturen bestimmen zusammen mit unterschiedlichen Zeiten und Temperaturen der einzelnen Arbeitsschritte wesentlich das Aroma. «Früher wusste man nicht, dass es bakterielle Prozesse sind. Man hat sich beim Käsen auf Traditionen und Erfahrungen abgestützt», sagt er. «Man fühlte, wie hoch die Milch erwärmt werden muss, wusste, dass sie Zeit braucht, um zu reifen, und dass der Käse es auf der Presse für die Säuerung warm haben musste, um nicht im Keller zu blähen.» Die «Gebsenkulturen» beruhen auf dieser Tradition. Gebsen (im Appenzellerland «Näpfe») sind Holzschüsseln, in denen Milch aufrahmt. Sie wurden nach dem Käsen und Zigern jeweils in der heissen Schotte gewaschen, ohne mit Wasser nachzuspülen. Im Geschirr blieben Milchsäurebakterien zurück, die die frische Milch wieder impften. «In Ausserrhoden hat es einzelne Sennen gegeben, die es nach der Einführung von Chromstahl- statt Holzgefässen und dem damit einhergehenden Zusammenbruch der traditionellen Alpkäserei wieder wagten, die Milch in Holznäpfen zu lagern. Doch diese Generation ist ausgestorben», sagt Chrigel Schläpfer. Er schätzt das Sinnliche am Handwerk und kennt unterschiedliche regionale Prägungen und Philosophien beim Käsen aus der Praxis. «Seit dem Mittelalter wurden getrocknete Kälber- oder Gitzi-Labmägen aufgerollt, rädchenweise abgeschnitten und in Molke gelegt, um mit dem entstandenen ‹Sirten-Magenlab› die Milch einzudicken», beschreibt er die traditionelle Technik. Mit dem wachsenden Wissen um die Rolle der Bakterien verbreiteten sich im 20. Jahrhundert regional Sirtenkulturen, auf den Alpen bis in die 1970er-Jahre die häufigste Kultur. In Regionen mit Hartkäseproduktion bewähren sie sich bis heute. Bei diesen alpspezifisch weitergezogenen Kulturen braucht es neben viel Erfahrung grösste Sauberkeit, Genauigkeit und Beobachtungsgabe; das tägliche Weiterzüchten birgt auch Risiken. Seit den 1970er-Jahren wurden darum vor allem bei Weich- und Halbhartkäse laborgezüchtete Kulturen der Forschungsanstalt für Milchwirtschaft in Liebefeld eingesetzt. Die «Liebefeld Kulturen AG» besitzt das exklusive Recht, Schweizer Käsereikulturen für den kommerziellen Einsatz zu reproduzieren und zu vertreiben. Rund vierzig Kulturen für unterschiedliche Käsesorten werden angeboten. Für grosse Käsereien sind solche Laborkulturen die zuverlässigste Methode. Weiterhin gibt es vor allem Alpkäsereien, die nach alter Tradition arbeiten, ihre betriebseigenen Kulturen weiterziehen und einwandfreien Käse herstellen. «Das Ergebnis des Käsens ist nicht an ein fixes Rezept gebunden», ist Chrigel Schläpfer überzeugt, «es ist auch von verschiedenen geografischen und klimatischen Bedingungen abhängig – und natürlich von der Milchqualität». Je besser und gehaltvoller die Milch, desto leckerer kann der Käse werden.

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