Ausgabe

DIEBINNEN UND ANDERE RÄUBER

No. 45 | 2023/1

«Obacht Kultur» N° 45, 2023/1 ist Diebinnen und Räubern auf der Spur.

Auftritt: Monika Rechsteiner;
Umschlag: Serafin Krieger;
Bildbogen: David Berweger;
Texte: Joachim B. Schmidt, Nicole Pfister Fetz, David Glanzmann und CHATGPT u.v.m.

Online blättern
Ausgabe bestellen

Fensterblick

Auch Seeräuber Jenny hat Rechte

von Nicole Pfister Fetz

Ein von der Gesellschaft unbeachtetes Zimmermädchen träumte sich einst aus ihrem elenden Leben als gefürchtete «Seeräuber-Jenny» auf einem Piratenschiff «mit acht Segeln» in die grosse Freiheit hinaus. Eine grossartige Ballade, in der die Piratin zum bewundernswerten Symbol einer freien Welt wird. Nicht nur das Zimmermädchen Jenny ersann damit eine Geschichte. Die eigentliche Schöpfung verdanken wir dem Schriftsteller Bertolt Brecht. Mitte der 1920er-Jahre schrieb er die Ballade und eine Melodie dafür, Franz Bruinier schuf die Orchesterfassung. Kurt Weill bearbeitete nach dem Tod Bruiniers die Musik und nahm sie in Bertolt Brechts «Dreigroschenoper» auf. Die Sängerin Lotte Lenya interpretierte die «Seeräuber-Jenny» in kongenialer Weise auf der Bühne und im Film. Schriftsteller, Komponisten und Sängerin sind Mitwirkende einer geistigen Schöpfung und derer Interpretation. Ihre kreative Arbeit wird vom Gesetzgeber im Urheberrecht geschützt, bis siebzig Jahre über den Tod hinaus. Danach – und somit auch im genannten Beispiel – werden sie gemeinfrei, also frei für die Gemeinschaft. Doch solange der Schutz besteht, darf man urheberrechtlich geschützte Werke, das so genannte geistige Eigentum, nicht ohne Erlaubnis der Schöpfer und Schöpferinnen nutzen. Denn Eigentum, ob geistig oder materiell, ist geschützt. Oder: Dort, wo die Nutzung in Ausnahmefällen nicht kontrollierbar ist, ist sie in der Regel gegen Entgelt erlaubt. Und das muss auch so sein! Denn kreative Arbeit ist Arbeit. Und Arbeit soll entschädigt werden. So weit, so gut. Mit der technologischen Entwicklung wurde ein neuer freier Raum propagiert: das Internet. Damit wurde die Nutzung und Verbreitung von Inhalten oder «Content» leicht und unkontrolliert – und somit die Internet-Freiheit zum Synonym für das vermeintliche Recht, alles zu jeder Zeit frei nutzen zu können. Und schon landete das Schiff im Hafen mit einer neuen Art von Piratinnen und Freibeutern, mal bewundert für ihren Ruf nach bedingungsloser Freiheit, der grenzenlose Nutzung verspricht, mal verteufelt für ihre unverschämte Aneignung von Eigentum, geraubt von Urhebern und Herstellerinnen aller Art. Pirat oder Piratin zu sein, hat also im Internet-Zeitalter immer noch den Ruch des Verwegenen, Mutigen, der Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen. Doch das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite sind sie doch nur jene, die sich auf rücksichtslose Weise das Eigentum anderer aneignen. Kreative Schöpfung ist kein freies Gut und muss geschützt und entschädigt werden. Denn, wenn dies nicht so bleibt, dann werden wir in Zukunft immer weniger grossartig erzählte Geschichten von Piraten und Räuberinnen lesen, in keinem Film mehr auf der «Black Pearl» in See stechen oder der Sängerin gebannt lauschen, wenn «das Schiff mit acht Segeln, und mit fünfzig Kanonen, wird entschwinden mit mir».

Nicole Pfister Fetz, geboren 1968, ist Geschäftsführerin von A*dS Autorinnen und Autoren der Schweiz, Präsidentin von Suisseculture Sociale, Präsidentin der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK und Vorstandsmitglied von ProLitteris.

zurück