Ausgabe

GRAFIKDESIGN

No. 38 | 2020/3

«Obacht Kultur» N° 38, 2020/3 setzt dem Grafikdesign ein Zeichen.

Auftritt: Willi Kunz;
Bildbogen: H.R. Fricker;
Umschlag: Wassili Widmer;
Texte: Judith Keller, Angela Kuratli, Dana Grigorcea u.v.m.

Online blättern
Ausgabe bestellen

Radar

Eine Anstiftung zu inkonsequentem Gestalten

von Angela Kuratli

In der Welt des Marketings existiert die Idee, dass Unternehmen eine eigene Identität haben; sie wird als Corporate Identity (CI) bezeichnet. Unternehmen oder Projekte werden dabei wie Personen behandelt und in verschiedene Bereiche wie Verhalten und Kommunikation zerlegt. Das Corporate Design (CD) bildet dabei die äussere Erscheinung einer solchen Persönlichkeit. In Manuals wird festgelegt, wie facettenreich und umfassend die einzelnen Elemente wie Farbe, Form und Schrift eingesetzt werden. Manche CDs bestehen aus einem losen Bausatz an Elementen und geben einer Persönlichkeit ein kaum fassbares Äusseres, andere legen sehr enge Korsagen an. Diese Regelwerke werden von uns Grafiker*innen ausgetüftelt und meistens von anderen Berufskolleg*innen angewandt. Je umfangreicher geregelt wird, desto grösser ist jedoch auch die Lust, diese Regeln zu brechen. Jeder Regelbruch verleiht einer Persönlichkeit kleinere oder grössere Beulen und Dellen, die durchaus charmant sind, aber nicht unbedingt im Sinne der Urheber*innen und schon gar nicht im Sinne der Marketingstrategien. Doch auch das gehört zum Spiel; je mehr Leute an diesen Persönlichkeiten mitwirken, desto vielseitiger werden sie. Es ist eine vergnügliche Arbeit, ein Projekt auszuhecken, zu formen und zu kneten, bis es zum Leben erwacht. Bei grösseren Unterfangen besteht allerdings die Gefahr, dass sich Inhalt und Form in ganz verschiedene Richtungen entwickeln. Manchmal wird so das eigentliche Wesen ganz vergessen oder übergangen. Es entstehen kleine, wunderschöne Design-Zombies. Wir Grafiker*innen können visuell verheissungsvolle Pfade legen, die ins absolute Nichts führen – und kaum jemand stört sich daran.
Manchmal staune ich, wo es Grafikdesign überall hinschafft. Wie eine dünne Haut umfasst es scheinbar alle Bereiche unseres täglichen Lebens und verleiht allem einen besonderen Glanz. Geburtstagseinladungen und Ferienblogs erhalten dank Templates einen professionellen Anstrich, echte Personen werden scheinbar zu kleinen Mini-Unternehmen. Und weil alles designt wird, ist das Nichtgestaltete Kult geworden; Geheimtipps sind selten designt. Das beste Restaurant hat bestimmt kein Logo, und das Essen wird auf Papptellern gereicht. Den besten Schnaps habe ich aus PET-Flaschen getrunken. Und um alles noch einmal zu verdrehen: Auch das professionelle Nicht-Designen wird da und dort eingesetzt. Handschriftliche Notizen in Zehntausender-Auflage – gefangen in einer designten Welt. Dabei liegt das Problem nicht an der schönen Form, sondern am Einsatz von floskelhaftem Design. Gerade um diesem zu entgegnen, gibt es für uns Grafiker*innen immer noch viel zu tun. Am liebsten arbeite ich in Kollektiven und mit Leuten aus verschiedenen Berufsrichtungen. Das hält nicht nur die Projekte lebendig, sondern auch uns. Wir verweben Ideen zu einem gemeinsamen Ganzen, und durch die Zusammenarbeit entstehen Projekte, Geschöpfe, die im Alleingang nicht möglich wären.

Angela Kuratli, 1984 geboren, ist Grafikerin und Co-Präsidentin der Visarte Ost. Sie wohnt in Wald AR.

zurück