Ausgabe

KURATIEREN

No. 44 | 2022/3

«Obacht Kultur» N° 44, 2022/3 widmet sich dem Kuratieren.

Auftritt: Ollie Schaich;
Umschlag: Jana Zürcher;
Bildbogen: GAFFA;
Texte: Patti Basler, Johannes Stieger, Isabelle Chappuis u.v.m.

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Frischluft

Von Kühen und kühnen Ratgebern

von Patti Basler

Als Kind auf einem einsamen katholischen Bauernhof wusste ich nichts von Kultur, es sei denn Agri-Kultur, und nichts vom Kuratieren. Mit Kuh, Ratte, Tieren im Allgemeinen kannte ich mich aus. Aber Kuratieren war kein Begriff für mich. Den Kuratli kannte ich. Er war einer der vielen Besucher, die regelmässig auf dem abgelegenen Hof Halt machten. Kuratli war ein fliegender Händler, und da er der einzige seiner Art war, den ich je zu Gesicht bekommen hatte, dachte ich lange, sein Name sei eine Berufsbezeichnung. Er war möglicherweise ein Fahrender, ein Jenischer, er sprach mit einem seltsamen Akzent, ich wusste nicht, ob es Jiddisch war oder Sinti. Aber wahrscheinlich war es einfach Toggenburger Dialekt. Denn Kuratli, so lernte ich später, sei ein typischer Toggenburger Name, ursprünglich hiess es tapferer Ratgeber, Kuehn Rat, und kühn musste man sein, wenn man aus dem katholischen Untertoggenburg ins protestantische Ausserrhoden fuhr und seine Ware feilbot. Oder in den Aargau. Kuratlis Auto glich einer Wundertüte voller landwirtschaftlicher Geräte: Mistgabeln, Besen, Werkzeuge und tiermedizinische Produkte aller Art. Meine Grossmutter suchte stets die seltensten Tinkturen und Pülverchen heraus. Sie erklärte mir, dass man immer für alle Tiere vorgesorgt haben müsse und sich deshalb eindecken solle mit den rarsten und wertvollsten Produkten. Da fanden sich Heilmittel für Munis, für Kühe und für alles dazwischen. Als Bauernkind wusste ich, dass es mehr gab als nur Männchen und Weibchen, immer mal wieder kamen Kälber zur Welt, die keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale aufwiesen. Auf Wiesen und in der Scheune musste natürlich auch für diese gesorgt werden, wenn auch nur bis zum Schlachttermin. Meine Grossmutter erklärte mir, dass vor allem weibliche Tiere wichtig seien für die Produktion von Milch, Eiern und für die Arterhaltung. Alle anderen könne man jung schlachten, weshalb es von allen Arten sehr viel weniger Männchen gebe, diese seien einfach nicht gar so wichtig. Aber gerade zu dem einen Muni auf dem Hof, dem einen Hahn im Korb, dem einen Eber im Stall müsse man besonders Sorge tragen. Natürlich werde in der Tiermedizin eher für Weibchen geforscht und investiert, aber gerade deshalb solle man sich zuerst mit der Medizin für die Männchen eindecken. Für Weibchen sei immer etwas da. Da könne man einfach auffüllen. Heute weiss ich, was Kuratieren bedeutet. Ich kuratiere Kabarett- und Satire-Shows. Ich weiss, dass Frauen etwas seltener auf Bühnen zu treffen sind. Fast so selten wie Munis im Stall. Deshalb bedürfen sie besonderer Pflege. Ich mache es wie meine Grossmutter damals: Zuerst bestücke ich fünfzig Prozent meiner Shows mit den schwieriger zu bekommenden Frauen und diversen Menschen verschiedener Herkunft. Mit Männern kann ich am Schluss einfach noch auffüllen. Von denen gibt’s genug. So geht Kuratieren 2022. Meine Grossmutter hatte recht mit ihrem kühnen Rat. Und Kuratli, denke ich, Kuratli ist vielleicht doch nicht nur ein Name. Sondern eine Berufsbezeichnung.

Patti Basler, geboren 1976, ist Autorin, Kabarettistin und Satirikerin. Die Aargauer Bauerntochter wurde erst Sekundarlehrerin, danach folgte das Zweitstudium in Erziehungswissenschaft, Soziologie und Kriminologie. 2019 gewann sie mit dem Salzburger Stier den renommiertesten Kabarett-Preis im deutschsprachigen Raum.

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