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SO EIN KÄSE

No. 42 | 2022/1

«Obacht Kultur» N° 42, 2022/1 zieht Fäden.

Auftritt: Brenda Osterwalder;
Bildbogen: Steff Signer;
Umschlag: Verena Sieber-Fuchs;
Texte: Gerold Späth, Myriam Schleiss, Dominik Flammer u.v.m.

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VON WEGEN ALTER KÄSE

von Dominik Flammer

Gab es in Italien vor vierzig Jahren siebzig Käsesorten, geniessen dort heute bereits mehr als 700 Käse einen Ursprungsschutz, meist in Form einer «Denominazione di Origine protetta» (AOP). Und der grösste Teil davon wird damit angepriesen, dass schon dieser oder jener römische Kaiser sich an diesem Käse gelabt habe. «History marketing» nennt sich diese Disziplin. Zur Verfügung stehen riesige Werbebudgets, so dass sich Historikerinnen und Historiker über diese Geschichtsklitterung nur hinter vorgehaltener Hand lustig machen, um nicht in langwierige Rechtsprozesse verwickelt zu werden. Eine Marketing-Disziplin übrigens, die auch die Schweizer Käseorganisationen bestens beherrschen. Mit grossem Eifer stürzen sie sich auf jedes Schriftstück, das darauf hinweist, ob in ihrer Landschaft irgendein Bäuerlein irgendeinem Lehensherrn einst Käse abliefern musste. So auch die Appenzeller: In Schriftrollen des Klosters St. Gallen finden sich Hinweise, wonach bereits im 13. Jahrhundert Käse aus dem Appenzellerland den Weg ins Kloster St. Gallen fand. Demzufolge – so die Werbung und ihre Botschaften – gibt es den Appenzellerkäse seit 700 Jahren. Nur wird dabei pfleglich verschwiegen, dass die Appenzeller damals so wenig wie die Freiburgerinnen oder die Bündner wussten, wie man einen eingelabten Käse produziert, oder dass keine Quelle die Art der Herstellung auch nur ansatzweise erwähnt. Dabei wurde damals ausnahmslos Sauermilchkäse hergestellt: Man säuerte die Milch ein oder liess sie schlicht stehen, bis sie sauer war. War sie geronnen, liess man die Flüssigkeit durch ein Tuch abtropfen, salzte die geronnene Masse und formte diese zu flachen, runden oder quadratischen Käselaibchen. Mit dem, was wir heute als Käse kennen, hatte das nicht viel zu tun. Entstanden sein dürften unsere heutigen Käse in einer annähernd ähnlichen Form ab dem 16. Jahrhundert, nicht zuletzt dank italienischer Hirten, die mit ihren Schafen ins Land kamen und ihr Wissen über die Labkäserei verbreiteten. Trotz dieses Entwicklungsschubs klagten die Käsehändler im ganzen Land über den stalligen Geschmack und die lausige Qualität, die ihnen oft geliefert wurde. Um diese Missstände zu beheben, setzten in der Schweiz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Kontrollen, Wertungen und Wettbewerbe und vor allem eine Vereinheitlichung der Qualitätsstandards ein. Und weil man diese nicht überall in den Griff bekam, wurde kurzerhand eine mit intensiven Gewürzen versetzte salzige Sulz entwickelt. Dass dies vor allem geschah, um den Stallgeschmack vieler Käse zu übertünchen, ist das wohl bestgehütete Geheimnis des Appenzellers. Doch dieses ist gerade mal gut 140 Jahre alt – so wie auch der heutige Appenzeller. Und so ganz nebenbei: Ein «Appenzeller Meiteli», das auf die Frage, «wie machsch denn Du Din Chäs», antworten kann, findet man allenfalls noch in Appenzell Ausserrhoden. Weit zahlreicher dürften aber die Toggenburger und Thurgauer Büebeli sein, die diese Frage beantworten könnten. Denn sie sind es, die heute die grosse Menge an Appenzeller-Käse herstellen.

Dominik Flammer, geboren 1966, ist Autor und Foodscout. Er beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit der Geschichte der Ernährung. Im
Mittelpunkt seiner Arbeit steht das kulinarische Erbe des Alpenraums und dabei insbesondere die engere Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaft und der Gastronomie. Er publizierte unter anderen 2009 das Buch «Schweizer Käse».

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