Ausgabe

SPIEL REGEL

No. 40 | 2021/2

«Obacht Kultur» N° 40, 2021/2 spielt.

Auftritt: Pablo Walser;
Bildbogen: Karin K. Bühler;
Umschlag: Bernard Tagwerker;
Texte: Frédéric Zwicker, Dominik Schleich und Ingrid Brühwiler, Angélique Kellenberger, Dieter Ringli u.v.m.

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Gedächtnis

Die verspielte Sammlung

von Gabriele Müller Gloor

Meine Spielzeugsammlung umfasst zum Grossteil Puppen. Diese werden nicht nur zum Spielen und für leuchtende Kinderaugen hergestellt. In vielen Ländern dienen sie religiösen und kulturellen Ritualen, etwa als Grabbeigaben. Mit Marionetten-, Schattenfiguren- und Handpuppen-Aufführungen werden in fernen Ländern Traditionen weitergegeben.

Auch der Wert von Trachtenpuppen für Tourist*innen ist nicht zu unterschätzen: Reisende wollen etwas Typisches mit nach Hause bringen. Als Beispiel könnte ich die schillernd-bunten Tempeltänzerinnen in Puppenform aus Thailand und die aus leichtem Balsaholz geschnitzten, roh belassenen Figuren aus Liberia (Westafrika) erwähnen. Sie erzählen viel vom Alltag und der Gesellschaft des jeweiligen Landes. Die Vielfalt der Kulturen auf der Welt anhand von Puppen darzustellen, war anfänglich meine grösste Sammelmotivation. Es waren jedoch nicht die schönen, farbigen und industriell hergestellten Puppen, die mein Sammlerinnenherz höher schlagen liessen, sondern eher die ganz schlichten, aus einfachem Holz, Wolle, Stroh, Textilien oder Blech gefertigten, mit Kleidern aus verwaschenen, alten Stoffen. Beim Kauf ergaben sich viele unvergessliche Begegnungen, manchmal im Hinterhof einer ärmlichen Hütte, mit kaum verständlicher Konversation, aber oft mit vielen Emotionen verbunden. Über die Jahre erlangte die Spielzeugsammlung Waldfee eine gewisse Bekanntheit, und immer häufiger kamen Besuchende mit antiken Puppen und Spielsachen vorbei und schenkten mir ihr einst geliebtes Spielzeug. Nicht selten waren echte Raritäten aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts dabei, beispielsweise Puppen ganz aus Porzellan, oder noch früher datierte mit Lederkörpern. So fanden auch zahlreiche aus einer Compositions-Holz-Leimmasse gegossene oder modellierte Puppen aus den 1930er-Jahren in die Sammlung. Auch einige Puppen aus dem sehr zerbrechlichen und schnell entflammbaren Celluloid, das um 1950 auf den Markt kam, sind ausgestellt. Zwar durften viele Kinder, wie mir immer wieder versichert wurde, früher nur sonntags und unter Aufsicht mit ihren Lieblingen spielen. Trotzdem gingen die Puppen häufig zu Bruch, so dass nicht mehr viele von diesen Zeitzeugnissen erhalten sind.

Ich sammle auch Puppen von Frauen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts für ihre eigenen Kinder nicht mit den handelsüblichen Erzeugnissen zufriedengeben wollten und eigene Modelle schufen. Beispielsweise die Berlinerin Käthe Kruse (1883–1968), deren unverkennbare Puppen weich, aus Stoff, mit lieblichen, handgemalten Gesichtern und schlichten Kleidern waren. Oder die Schweizer Künstlerin Sasha Morgenthaler (1893–1975), die mit verschiedenen Materialien wie Wachs, Hartgummi und Kunstharz experimentierte, wunderschöne Originale schuf und später die serienmässig gefertigte Sasha-Puppe entwickelte. Daneben gibt es in der Spielzeugsammlung auch die in der Schweiz geschnitzten «Chaschperli», wie die Handpuppen hier genannt werden, zu bewundern. Neben der umstrittenen, aber von den Mädchen heiss geliebten Barbie-Puppe aus den 1960er-Jahren sind auch Hunderte Gesellschafts-, Brett- und Kartenspiele und alte Kinderbücher Teil der Spielzeugsammlung. Ein besonderes und zugleich das älteste Ausstellungsstück ist die fast 200-jährige Spielpuppe «Charlotte» der berühmten Künstlerin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943). Den Hersteller der Puppe konnte ich bis heute nicht eruieren. Geschenkt wurde sie mir, zusammen mit einem gefüllten Kleider-Reisekoffer, von der Trognerin Elisabeth Pletscher. Sie war mit der Familie Taeuber zu deren Trogner Zeiten gut befreundet. Bereits die Mutter von Sophie Taeuber hatte um 1840 mit dieser Puppe gespielt.

Gabriele Müller Gloor, *1955, ausgebildet als Primarlehrerin, arbeitete viele Jahre als Flightattendant für die Swissair. Seit 25 Jahren lebt sie hauptsächlich in Costa Rica. Sie überlegt sich derzeit, wie es mit ihrer Sammlung in Wald weitergehen könnte.

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